Till MAIRHOFER

Literarisches Werk und Performance von Till Mairhofer zur und in der Rauminstallation "fest://netz" im Kunstorganismus G14, Kunst im Leerstand, Steyr Grünmarkt

Anno Festnetz

Tempus
Ante Natale Domini T. A. N. D. — Die Zeit vor der Geburt Des Herrn. Im Anfang »Ta!«, T. A. Tellaura Anachtonimos, die Rückkehr des Goldes zur Erde, mein zufälliges T.A. von J.A., »aha!« im Ende N. D. : ist ingesamt »Tand«!, ist alles Gebilde von Menschenhand. Da erging das Wort Gottes an Johannes wie es stand beim Propheten Jesaja. Eine Stimme ruft in der Wüste : Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Straßen eben. Und so sah er am 25. Tag des Dezember drei alte weißhaarige Männer sehr sehr langsam und bedächtig im Gänsemarsch gehen und in die Hofeinfahrt der G14 (seiner Galerieräume auf Zeit) treten. Vorne ein etwas mächtigerer Mann, dann ein mittelgroßer und als Letzter ein sehr kleiner. Johannes parkte, grüßte und hörte in feinem Englisch. All its only facade. Only even you look after you view the reality, even so as I told you. Da war dem Angerbauer, als hätte das ihm gegolten so wie Johannes Jesaja, der fortgefahren mit : Jedes Tal soll ausgefüllt und jeder Berg und Hügel abgetragen werden und was krumm ist soll gerade und was rauh ist eben werden. Wie einst der kleine Johannes im Spielzimmer installierte heute der große und war in seinen Gedanken auch bei den drei alten Engländern. Als er sein Fenster von außen fotografierte, sah er die drei britischen Flaneure erneut, ihren Blick auf die Baustelle Innerbergerstadel gerichtet. Und als er schließlich über den Stadtplatz und den Ennskai innerlich zufrieden wieder heimwärts fuhr, da standen völlig überraschend die Drei zum dritten Male am Fuße der Gasse und winkten ihm freundlich zu. So war es gekommen, dass ein Menschwerdender und sein alter rostiger Stacheldraht, der sich Tag für Tag weiter vergoldet, den britischen Brexit-Königen begegnet war.

Der Gemeine Mistkäfer oder Rosskäfer (geotrupes stercoraris) wälzt Scheiße und frisst sie. So sorgt er für das gewisse Gleichgewicht zwischen Dung und Krume. Für ihn ist Scheiße Leben. Nicht aber umgekehrt. Im übertragenen Sinn, so Andreas Schönangerer, für ihn alsHobbygärtner auch die angemessene Interaktion in und mit seinem sozialen Umfeld. Harmonisierend, wie der Erdbohrer (geo…trupes…) beständig ansammelt und daraus entrümpelnd Leere formt und luftigen Raum für Neues.
Geotrupidaeprojekte handeln von Ausscheidungen, vom Leben als Materialschlacht. Leben ist Scheiße im Sinne des Düngens : konstruktiv gedacht. Wir sammeln beständig, solches was wir brauchen, anderes, dem wir Nützlichkeit nur andichten. Oftmals drehen sich die Verhältnisse und die überbordende Fülle verdichtet sich zur Herrschaft. Es darf die Frage gestellt werden, wer dann wen besitzt : der Mensch die Dinge oder die Dinge den Menschen.
Der Mistkäfer bringt die Dinge ins Rollen. Er rollt seine Kugel aber nicht nur sondern er ernährt sich und seine Nachkommen auch von ihr. Mehrere Jahre des Mistkäfers Konzept im Kopf, quasi vor mir hergerollt, heute erstmals umgesetzt hier, besteht meine Kugel durchwegs aus Elementen der Kunst aus mehreren Jahrzehnten. Scharf,schwer und gefährlich liegt sie da, zugleich fragil und beweglich, dem Künstlerdasein gleich : die Spiegelkugel . . . Globus . . . Dung.


Es fogt Lied
wie schöne wir den anger ligen sahen
darum die sumerzit beginnet nahen
die baum den winter stunden fal   überall
sind sie nueen laubes worden riche
darunter singet nachtigal

nun loset wie die vogel alle tönen
wie sie den maien mit ihrem sange krönen
sie freun sich gen der sumerzit  die uns giht
freuden vil und liachta augen weide
der haide wünegliches klid


Angerbauer und Schönangerer im literarischen Dialog aus Botho Strauß »Der Fortführer«
Erschienen bei Rowohlt 2018
A =   Was ich dir sage Andreas . . .
Sch = Was ich dir antworte Johannes . . .
Kommentar = Till /    Begrüßung des Publikums

Wir wollen kein Ende, aber auch nicht mit einem Anfang beginnen. Wir sind immer mittendrinn. Aber wir sind auch nicht wir, sondern einmal ich, einmal du, dann wieder er oder sie. Für-Wörterer, Vor- oder Nachwortende.

Wählscheibe
Angerbauer spricht
Friedrich Dürrenmatt Wk. 5 / Minotaurus S. 429f.

Wählscheibe
Angerbauer sprich wieder
Daniel Kehlmann »Tyll« S. 355f . . . Paul Fleming »Gedichte des Barock« S. 58 . . .
Dürrenmatt Wk. 7 525f.

Und so liest Till Mairhofer immer eher die Texte anderer als eigene, stellt andere in den Mittelpunkt, in zwar auch seinen eigenen Texten, sich und das seine aber zunehmender an den Rand. Wer sich so in den Mittelpunkt stellen will, indem er sich im Hintergrund positioniert, ist selber dafür verantwortlich, wofür niemand anderer Verantwortung tragen könne und werde, auch Sie werde weil könne das schlicht und einfach nicht, sagt die sein literarisches Schaffen Begleitende. Je weiter wir in die Öffentlichkeit treten, desto eher werden wir Namenlose, denn Namen gehen in der Masse unter, sagt Andreas Schönangerer.

Wählscheibe
Schönangerer spricht
Thomas Bernhard »Der Stimmenimitator« S. 153f.

Regieanweisung fast post Performance
Wenn es heißt : Johannes Angerbauer spricht, spricht naturgemäß das gesamte Karat-Gold-Wert-Stoff-System ergo die gesamte Welt vermessen auf der Angerbauerschen Goldwaage.
Auch das Labyrinth wird der Verworrenheit unseres Goldhoffers nicht Herr, selbst dann nicht, wenn uns Telefonnummern darin oder da raus leiten bzw. läuten sollen.
Der große Tragödiendichter des 19. Jhs., als sich die Tragödie immer stärker dem Nihilsmus zu verpflichten fühlte und immer weniger der Theodizee, Friedrich Hebbel meinte: »Alles Leben ist Kampf des Individuellen mit dem Universum.« Und: »Das Individuum existiert nur als solches . . .« Allerdings: » . . .wenn es sich selbst aufgibt, so ist sein Leben nur noch ein Sterben, ein unnatürliches und unnützes Hinwelken . . . Obgleich aber das Individuum nur als solches existiert, hat es dennoch keine heiligere Pflicht, als zu versuchen, sich von sich selbst los zu reißen, denn nur dadurch gelangt es zum Selbstbewusstsein, ja zum Selbstgefühl.«

Wählscheibe
Angerbauer spricht
Fortsetzung Dürrenmatt »Minotaurus« S.438f; 441f; 443f.

Erst in der Betrachtung vollendet sich das Werk und entledigt Namenloses im Miteinander von Publikum und Kunst sich der Differenz. Lebt Kollektives ohne Aktivismus als Konzept und verwandeln, die da schaffen, sich in ihre Ideen.
Zurück in ihrem Spielzimmer Johannes und Andreas, der Leseopa wünscht den beiden und Ihnen einen schönen Abend und eine gute Nacht. Noch einmal öffnet er eines seiner Bücher, den Nachlassband der Gedichte der Christine Lavant, erschienen eben bei Wallstein. Dort schreibt im Adent 1964 die Kärntner Dichterin und Zeitgenossin Ingeborg Bachmanns und Marlen Haushofers in einem Gedicht an Ludwig von Ficker, als hätte sie damals schon uns gewusst.
Lavant S. 469.

© Till Mairhofer, Jä. 2019

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