Erich FRÖSCHL

Eröffnungsrede von Erich Fröschl zur LEMNISKATE 05 in der Rathausgalerie Steyr



Lemniskate, die liegende Acht, ohne Anfang und Ende, das Symbol für die Unendlichkeit von Schwingung und Bewegung. Bewegung, diese, so offenbart mir, ist dem Tun des Johannes Angerbauer augenscheinlich Passion geworden. Eine Ausstellung hegt die nächste. Da ein neues Projekt und eines in Vorbereitung, unermüdlich und doch, immer fundiert und substanziell. Die hier eingerichtete Rathausgalerie hat Johannes an einem Ort installiert wo Entscheidungen getroffen werden die alle Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt betreffen, wo unterschiedlichste Meinungen, Interessen und Ansichten aufeinander treffen und hier sollte – nein hier darf Kunst nicht fehlen und mit ihren Dialogen nicht hintanhalten! Dass es diesen Dialog in Form der Ausstellungen hier gibt sei Johannes Angerbauer sehr zu danken!


These:
Nichts ist schwerer als über die Arbeiten eines anderen zu referieren, ist doch die Gefahr sehr groß, in eine Form des Unzweifelhaften zu verfallen die den Erlebnissen und Bestrebungen des Schaffenden entgegenstehen.

Antithese;
Nichts ist leichter als über die Arbeiten eines anderen zu referieren, hat man nur erst die unbedingte Voraussetzung, nämlich die Entsprechende Vorliebe/Liebe die dafür notwendig ist gefunden.


Dieser Prolog mag sie vielleicht etwas verwirren, ist aber im vorliegenden Fall durchaus verständlich. Der Hinweis zielt darauf, dass die hier an den Wänden hängenden Bilder gewiss jene strafen, welche diese Arbeiten ausschließlich mit einer oberflächlichen Zweifellosigkeit beurteilen.

Wieso das? Nun, mich hat schon immer Zweifellosigkeit in jeder Form erstaunt, insbesondere die Zweifellosigkeit jener Leute, die über Empfindungen anderer urteilen und gleichzeitig glauben sie hätten die "Sache" verstanden wo`s im Grunde gar nichts zu verstehen gibt.

Ich wollte bei meinen Anmerkungen zu dieser Ausstellung mich erst gar nicht in die Gefahr bringen in eine konstruierte Form eines Erklärens oder gar einer Beurteilung zu kommen.
So nahm ich nur ganz wenige Informationen der beiden Protagonisten dieser Ausstellung von
Edith Platzl und Markus Waltenberger auf.

Dabei bekam ich rasch das Gefühl, ganz spezifische Findlinge vor meinen Augen zu haben, die durch ihre Fremdartigkeit und Feingliedrigkeit meine Aufmerksamkeit auf sich zogen — und dieser Moment, dieser erste Eindruck dauerte an.

Die hohe Sensibilität die ihren Arbeiten innewohnt ist hier so verankert, dass man meinen könnte die Texturen, Formen, Figuren und Fäden, weben den Betrachter/die Betrachterin nahezu ein in ein oszillierendes Netz.

Sie meinen jetzt vielleicht, nun gut, Sensitivität ist doch eine Eigenschaft die jedem Künstler, jeder Künstlerin eigen ist. Gewiss! Nur heutzutage? Ich neige da eher zu der Meinung, dass aktuell leider viel Popanz getrieben wird und die Akteure ihr Sensorium eher zum Aufspüren von Marktlücken ausgerichtet haben. Zeitgeistigkeit und Marktorientiertheit ist da angesagt was den Blick auf das Wesentliche zur Absurdität verklärt. Sie meinen das war schon immer so? Vielleicht haben sie Recht – – ich könnte ihnen aber auch das Gegenteil beweisen. Aber das ist mein Thema hier und heute nicht.


Die Arbeiten, die sie hier an den Wänden sehen, sind Seelenabdrücke; Mitteilungen feinsten Ausmaßes. Mitteilungen welche die Form einer Melodie annehmen. Das Bedürfnis der Mitteilung ist ihnen innerlich vorgezeichnet, die Form der Mitteilung musste allerdings jeweils gefunden und aufgezeichnet werden.

Beide, Edith Platzl wie Markus Waltenberger, erarbeiten Diagramme, seismographisch genaue Aufzeichnungen von Empfindungen und Erlebnissen, die, wie ich vermute, in ihren Gedanken bereits chiffriert sind. Nicht eben darum, um dem Ganzen eine Okkultheit zu verleihen, sondern vielmehr als Aufbereitung für ein "Spiel" in ihrem Ordnungsgefüge.

Es ist wie ein Spiel in dem man Steinchen weiterführt, aber es ist kein Spiel, das auf eine lineare Ordnung ausgerichtet ist, sondern eines, das sich nach allen Richtungen hin ausbreitet und auf kleine Verschiebungen des Ordnungsprinzips aus ist. Darin besteht natürlich eine gewisse Gefahr, nämlich, wenn die Ordnung ganz aus dem Blickfeld geraten würde, wenn die winzigen Verschiebungen der ursächlichen Kongruenz so maßlos würden, das die Ordnung aus der Erinnerung rutscht – – dann wäre die Mitteilung futsch.

Ein fein ausgeprägtes Gefühl für Balance bewahrt beide vor solchem.

Deshalb sind diese Mitteilungen leise Empfindungen und Gedanken die ihre Deutlichkeit verlieren würden, wenn man sie nur um ein Weniges ausdehnen würde. Hat jemand Wohlgefallen an Sinnlichkeit und Variation, an Verwandlung und tiefer Liebesfähigkeit, hier hätte er die Arbeiten dafür, und es käme ihm bei aufmerksamer Betrachtung der Blätter womöglich die Erkenntnis: Melancholie muss nicht unbedingt elegische Traurigkeit bedeuten.


Und da öffnet sich ein Raum, ein gesehener und ein erinnerter Raum, ein Spielraum für kaum fassbare Gedankengänge, einschränkbar schon gar nicht, vielmehr ausgedehnt in alle Bereiche in denen der Mensch in seiner Lebensnotwendigkeit existiert: das Wasser. Selbst „Ungestalt“ gibt es allem Halt und Form – dem Grashalm, den Pflanzen, dem Baum, den Früchten, den Tieren und nicht zuletzt uns Menschen bindet es in alles Seiende ein. In eine überfangende Ordnung, von der Quelle zur Wolke lässt es alles entwickeln und ihre Kräfte spielen. Das Einzelne und das Ganze, sie ergeben das Vermächtnis des Lebens. Von der Träne aus Trauer oder Freude die über die Wange gleitet, vom Gestade bis an die Küsten, vom Wasserfall bis zu den Wellen im Ozean. Das Formen der Gesteine und Gebirge und das Zermalmen zu Sand, alles unterliegt dem Aggregat des Wassers: hinzunehmen, ansammeln, anhäufen, vereinigen und das verbinden der Elemente bis hin zu ihrer Trennung.
Das Einzelne und das Ganze, das Kleine und das Große, das Lokalisierbare und das Kosmisch- Weltumspannende: in relativ einfachen, oft nur improvisierten, angedeuteten Arbeiten zeigt Edith Platzl die vertraute Existenz der vom Wasser geformten Dinge: unfeierlich, unscheinbar, leise, ästhetisch und mitunter auch diametral entgegen – aber keineswegs beiläufig oder obendrein.


Die Bildwelt des Markus Waltenberger ist weitgehend frei von Vertrautheiten, trägt in sich die Maske der Verwandlung. Er ist nicht um Schönheit bemüht, auch nicht um Hässlichkeit – das wären künstlerisch gesehen ohnehin irrelevante Einteilungen. In sein laszives Farbenspiel taucht Waltenberger alles ein: seine Figuren sind nicht mehr Fleisch und Blut, seine Anspielungen treiben in den Bildgründen und entziehen sich so ihren vordergründigen Deutungen einer reinen Illusion. Illusion aber ist unrein. Allerdings gibt es ein Gericht im Bereich seiner fragmentarischen Formulierungen: die Unerbittlichkeit des Einsatzes seiner malerischen Mittel. Was einmal zur Farbe geworden ist, kann so verstanden, nicht wieder Fleisch werden. Was zur gezirkelten Form wurde, kann nicht mehr amorph sein.

Und hier, wenn sie so wollen, begegnen sich diese beiden Pole.   
In jenem Maße, in dem die Hoffnungen von Platzl und Waltenberger ihre Kunst ist, und ihre Kunst ihr Himmel, sind ihre Bilder der Versuch, eine Brücke zu schlagen zwischen einem latentem Unbehagen, einem Schmerz, einer Traurigkeit und dem Suchen nach der Herrlichkeit, der Fruchtbarkeit und den Geheimnissen dieser fürchterlich schönen Welt. Sie zeichnen, malen oder nähen ihr inneres Sein, ihre Einsamkeit und ihre Träume mit einer ihr eigenen Naivität, einer Ur - sächlich - keit, die sie nicht gesucht und wiedergefunden haben, sondern die ihnen geblieben ist, die sie aus ihrer Kindheit bewahren konnten und die im Betrachter ihrer Werke den Zweifel nähren soll, dass Erlebnisse anderer für sich zu nutzen ohne entsprechender Einbringung seiner selbst nur zu Erkenntnissen führen, die wertlose Surrogate wären. Ihre Bilder aber verbinden sie mit der Welt durch ein geheimnisvolles Wissen davon, dass wir auf uns selbst zukommen über tausende kosmische Wesen.

Aber hier bin ich möglicherweise, gemäß meiner Worte zu Beginn meiner Ausführungen, schon zu weit gegangen. Ich glaubte die Schwierigkeiten zu kennen, wenn man über die Erlebnisse anderer referiert. Wahrscheinlich dehnte ich meine Möglichkeiten aber schon zu weit und hätte auf einen Teil meiner Möglichkeiten verzichten können und dabei vielleicht das "Richtige" getroffen. Da ich aber nicht wusste, was das "Richtige" ist, trieb ich diesen Aufwand um meine Hoffnung deutlich zu machen, auf diese Weise vielleicht den Punkt zu treffen, wo´s "Richtig" wäre und wo ich es dann doch nicht erkannt hätte.

So wünsche ich auch ihnen – Damen und Herren – einen interessanten Dialog mit den Bildern und danke fürs Zuhören!

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