Kommentar von Kons. Ing. Dr. Raimund Locicnik - erschienen in der Kunstzeitschrift Passagen 5/98
"Das Denken verschüttet die Wahrheit"
Lassing, 28. Juli 1998: Rührende Bilder von der Rettung des 10 Tage verschütteten Bergmannes Georg Hainzl gehen aus der kleinen steirischen Gemeinde rund um die Welt. Experten, als Verkörperung der Denker und Theoretiker hatten den Mann für tot erklärt und plädierten deshalb für die Einstellung der Grabungen. Doch da waren noch die Angehörigen und die Kameraden die auf ihr Gefühl hörten, auf die innere Wahrheit, die ihnen sagte: Georg Hainzl lebt. Sie sollten recht behalten.
Kann Denken zur Wahrheit führen ? Und: was ist überhaupt wahr ?. Wahrheit hat etwas mit wahr-nehmen zu tun und heisst eigentlich nichts anderes, als das zu nehmen, was wahr ist. Weil die Wahrheit ständig vorhanden ist, als Realität des Kosmos, der Erde, der Natur und des Menschen exisitiert sie unabhängig von unserem Denken und Handeln. Mit Heideggers Worten ausgedrückt: "Die Wahrheit ist die Offenheit des Seins".
Genau um diese "Offenheit des Seins" geht es auch Johannes Angerbauer, in dessen Schaffen ein zentraler Begriff steht: GOLD.
Ein Werkstoff der den Steyrer Künstler seit langem fasziniert. Nicht weil es das edelste aller Metalle ist und nicht weil sich mit Gold gute Geschäfte machen lassen und auch nicht, weil Gold seit alters her den höchsten Würdenträgern vorbehalten war, sondern einzig und allein deshalb, weil sich der Mensch seiner Wahrheit widersetzt.
Eine Wahrheit, die vom grellen Schein überstrahlt und vom Denken verschüttet wird, wie Angerbauer meint. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Israeliten um das "Goldene Kalb" tanzten, während ihr geistiger und spirtiueller Führer die Gebote für das " wahre Mensch-sein" empfing ? Hatte sich mit diesem "act" des unstillbaren materiellen Verlangens die "Goldene Pforte" für die nachfolgenden Generationen auf immer geschlossen ? War der Menschheit damit die Chance auf das "Goldene Zeitalter" für ewig vertan ? Fast scheint es so, denn nicht umsonst verspricht die christliche Kirche den Menschen die Rettung des Seelenheils erst nach dem Tod.
Doch Angerbauer findet auch im Diesseits genug Ansatzpunkte, um das dunkle Verhältnis zwischen Mensch und Gold aufzulichten und die negative Spirale des jahrtausende alten Leids aufzubrechen.
Seine Goldobjekte wollen mit Füssen getreten, abgerubbelt, zerkratzt, verworfen und entweiht werden, um so die "Wahrheit ans Licht" zu bringen. Wieder einmal ist es der Künstler, der die Gesetze von Zeit und Raum durchbricht und den "Zeitpfeil" einer Entwicklung einfach umdreht. Wie eine Zwiebel schälen sich seine Plastiken und Objekte, je länger der Zahn-der Zeit-am Gold nagt. Zahngold-Zeitgold heisst denn auch eine von Angerbauers Aktionen, in der das Edelmetall vom stummen zum nahezu schreienden Mahnmal wird, welches alles Leid der Welt in sich vereint. Dabei steht plötzlich nicht mehr der Wert des Goldes im Vordergrund, sondern jene ideele Größe, die der Betrachter fühlt und in sein Bewusstsein erhebt. Für Angerbauer ist dies der Augenblick der Wahrheit, wo jeglicher Anflug von Rationalität die erlebte Gegenwart bereits zur ikonenhaften Vergangenheit erstarren lässt.
Zurück nach Lassing. Auch dort wurde die Wahrheit im wahrsten Sinn des Wortes verschüttet. Denken gegen Erfahrung: 10 Bergleute mussten sterben, weil Hypothesen der Wahrnehmung vorgezogen wurden. Für Angerbauer ein weiterer Grund "sein Gold" der Erde zurückzugeben. Tellaura Anachtonismos.